Digitaler Wandel,  Digitalisierung,  Gesellschaft

Sondierungsergebnisse – „Digitales und moderner Staat“

Sondierungsergebnisse

Vorab: Die vorliegenden Sondierungsergebnisse lassen sich aus den verschiedensten Perspektiven vollkommen unterschiedlich bewerten. Aber: Es ist nur ein Sondierungspapier. Nun wird es darauf ankommen, die teilweise  noch sehr vagen Punkte in den Koalitionsverhandlungen zu detaillieren.

Anhand der dann konkreten Punkte lässt sich bewerten, welche Partei sich wie gut oder weniger gut in das Papier hat einbringen können. Zudem werden die die im Sondierungspapier noch sehr oft enthaltenen Floskeln und Weichspüler konkret.

Auch erst dann wird man konkreter beurteilen können, ob die verhandelten Ergebnisse geeignet sind, die „umfassende Erneuerung unseres Landes“ auch entsprechend mit Leben zu erfüllen.

Insofern wird  die nachfolgende „Bewertung“ bei einigen Punkten ähnlich vage sein. Da in vielen anderen Statements und Veröffentlichungen bereits allumfassend etwas zum Sondierungspapier gesagt wurde, werde ich mich auf die Punkte „Moderner Staat“ und „Digitalisierung“ beschränken.

Und ja, gestattet mir zumindest noch den Blick auf die Verkehrspolitik zu legen.

Schwerpunkt „Moderner Staat“ und „Digitalisierung“

Kapitel 1 – Moderner Staat und digitaler Aufbruch

Ich finde es schon einmal bemerkenswert, dass im Sondierungspapier bereits das erste Kapitel den Themen „moderner Staat und digitaler Aufbruch“ gewidmet ist.

Wir wollen einen grundlegenden Wandel hin zu einem ermöglichenden, lernenden und
digitalen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet. Es geht darum,
das Leben einfacher zu machen. Staatliches Handeln soll schneller und effektiver werden und
wirtschaftliche wie gesellschaftliche Innovationsprozesse befördern. Wir wollen eine neue
Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft heraus
gespeist wird.

Ok, viele blumige Worte, die sich da in schönen Formulierungen manifestieren. Ich betrachte das als Präambel und damit legt man hier weniger strenge Maßstäbe an.

Zwei Punkte stechen trotzdem heraus.

  1. Der formulierte Grundsatz des schnelleren und effektiveren Handelns ist sehr zu begrüßen.
  2. Für mich etwas unverständlich, dass der „ermöglichende, lernende und digitale Staat“ nur für Bürgerinnen und Bürger angestrebt wird. Kann ein Lapsus sein, den ich aber an dieser Stelle sehr störend empfinde. Denn selbst im Kapitel 6 des Sondierungspapiers (Innovationen fördern und Wettbewerbsfähigkeit erreichen) fehlt dieser Anspruch, den man eigentlich auch für die Wirtschaft formulieren sollte.
    Die Fokussierung auf nur eine bestimmte Gruppe wird immer zu einem Ungleichgewicht führen, was gerade bei der angestrebten Modernisierung vermieden werden sollte.

Um Deutschland zügig zu modernisieren sind schnelle Verwaltungs-, Planungs- und
Genehmigungsverfahren zentrale Voraussetzung. Daher sollen im ersten Jahr der Regierung
alle notwendigen Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden, um private wie
staatliche Investitionen schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können. Unser Ziel ist es,
die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren.

Sehr gut, wenn man die Verfahrensdauer für die private und staatliche Investitionen halbieren will. Allerdings wird in diesem Punkt die Modernisierung der Verwaltung selbst vollkommen ausgespart, was für mich wiederum etwas unverständlich ist.

Prozesse der Verwaltung, egal ob analog, halbdigital oder digital leben neben den zugrundeliegenden Prozessen auch immer von den Menschen, die diese Prozesse begleiten. Leider findet sich im Sondierungspapier kein Wort dazu. Daher trotz der positiven Ansätze etwas zu kurz gesprungen. Hier sollte man in den anstehenden Koalitionsverhandlungen auch den Aspekt der Modernisierung der Verwaltungsstrukturen klar ansprechen und berücksichtigen.

Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden. Wir werden sie konsequent von der Bürgerin
und dem Bürger her denken. Digitale Anwendungen werden jeweils mitgedacht und realisiert.
Dazu wollen wir Gesetze einem Digitalisierungscheck unterziehen. Die digitalpolitische
Strategie der Bundesregierung wird neu aufgesetzt (u.a. KI-Strategie, Datenstrategie,
Blockchain-Strategie). Kompetenzen in der Bundesregierung werden neu geordnet und
gebündelt. Den Gigabit-Ausbau treiben wir engagiert voran

Na gut, zumindest hat man irgendwie das Wort „agil“ untergebracht, ohne das daraus abgeleitet werden könnte, was sich dahinter verbirgt.

Analog der Anmerkung oben ist es sicherlich begrüßenswerte die Verwaltung von Bürgerin und Bürger her zu denken. Allerdings fehlt mir auch hier zumindest der Verweis, dass auch die Verwaltung wirtschaftliche Sichtweisen mitdenken muss.

Gut, dass der Wille vorhanden ist, die Gesetze einem Digitalisierungscheck zu unterziehen. Hier wird es darauf ankommen, wie genau dies dann auch praktisch umgesetzt werden soll. Zu wünschen wäre, dass in diesen Digitalisierungscheck dann auch Vereine, Verbände, NGO etc. einbezogen werden. Nur so wird es gelingen, die vielseitigen Sichtweisen und Aspekte als Grundlage für gute Gesetze einzubeziehen.

Interessant ist auch, dass die „digitalpolitische Strategie“ der Bundesregierung  neu aufgesetzt werden soll. Es bleibt aber trotz des löblichen Ansatzes ein bitterer Beigeschmack, wenn man dann im selben Satz das Thema „Blockchain“ wiederfindet. Es scheint wie ein Relikt aus dem FDP-Wahlprogramm des Jahres 2017, was wie durch ein Wunder den Sprung in das Jahr 2021 geschafft hat.

Wir wollen für gute Lebensbedingungen in Stadt und Land sorgen. Gerade in den ländlichen
Räumen gilt es, die Daseinsvorsorge zu stärken. Bürgerinnen und Bürger sollen ihren Alltag
in ihrer Region gut leben können – von der Arbeit übers schnelle Internet bis hin zu guten
Verkehrsanbindungen, vom Einkaufen über den Arztbesuch bis hin zum Sport. Wir wollen
dafür sorgen, dass notwendige Investitionen (zum Beispiel in schnelles Internet oder Mobilität)
insbesondere dort angepackt werden, wo der Nachholbedarf am größten ist.

Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass auch der ländliche Raum in den Fokus der Politik rücken soll. Dies ist nach Jahren der Fokussierung auf städtische Belange überfällig. Allerdings wird auch nicht deutlich, mit welchen konkreten Maßnahmen dies erreicht werden soll.

Klar, schnelles Internet oder Mobilität klingen erst einmal sehr gut. Sind aber keine neuen Themen und die Verkürzung auf „da wo Nachholbedarf am größten ist“ klingt allenthalben wie Flickschusterei.

Hier wird wohl abzuwarten sein, was sich da an konkreten Maßnahmen ausgedacht wird. Dennoch, sehr enttäuschend, dass nicht bereits hier konkretere Punkte gibt.

Fazit:

Es werden im Kapitel zwar einige wichtige Punkte angesprochen, aber für eine umfassende Modernisierung oder gar einen digitalen Aufbruch ist das Ergebnis der Sondierungen doch eher ernüchternd.

Nicht nur die, schon fast mantraartig erwähnte, Fixierung auf „Bürgerinnen und Bürger“ lässt mich hier etwas ratlos zurück. Sondern auch die in diesem wichtigen Kapitel NICHT genannten Themenbereiche.

Um nur auszugsweise zu nennen was hier zumindest mit hineingehört hätte:

  • Digitale Souveränität
  • Grundsatz zu OpenSource, OpenGovernment/eGovernment, OpenData
  • Transparenz des Staates
  •  Lobbyregister
  • Cybersecurity/IT-Sicherheit
  • Recht auf Verschlüsselung und Absage an weitere Überwachungsphantasien

Interessanterweise findet sich kein Wort zu einem „Digitalministerium“ . Und ja, die Sichtweisen hier sind sehr heterogen. Warum dies aber trotzdem sinnvoll sein kann könnt Ihr hier nachlesen Wanted: Digitalministerium

Die Liste lässt sich problemlos um weitere Punkte ergänzen. Allein dieser Auszug soll aber deutlich machen, dass zumindest dem Sondierungspapier ein großer thematischer Nachholbedarf besteht, um den Staat wirklich modern zu gestalten und den digitalen Aufbruch zu ermöglichen.

Kapitel 2 – Klimaschutz und sozial-ökologische Marktwirtschaft

Gemäß den Vorschlägen der EU-Kommission hieße das im Verkehrsbereich, dass in Europa
2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden – entsprechend früher wirkt sich
dies in Deutschland aus. Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen
wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen
werden können. Wir wollen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität machen und dafür
den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur massiv beschleunigen. Ein generelles Tempolimit
wird es nicht geben. Im Rahmen klimafreundlicher Mobilität werden wir die Entwicklung
intelligenter Systemlösungen für den Individualverkehr und den ÖPNV unterstützen.

Uff. Diese, sorry, Kurzsichtigkeit verblüfft mich nun doch etwas.

Klar, die FDP wird sich freuen, dass man die E-Fuels in diesem Sondierungspapier untergebracht hat. Allerdings scheint der Alternativantrieb Wasserstoff nunmehr aus dem Rennen.

Hinsichtlich der Elektromobilität ist es nach wie vor ziemlich armselig, wenn sich die Maßnahmen hier ausschließlich auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur beschränkt. Wie man Elektromobilität sinnvoll in ein ganzheitliches Verkehrskonzept integriert macht uns Norwegen deutlich vor. Das hier nicht zum Nachbarn geblickt wurde um von da zu lernen ist für mich schlicht nicht nachvollziehbar.

Was in diesem Kontext ebenso fehlt ist der Ausblick auf ein neues, ganzheitliches Verkehrskonzept. Welche Punkte da komplett fehlen könnt Ihr hier nachlesen Ansätze für ein ganzheitliches Verkehrskonzept unter Berücksichtigung digitaler, urbaner und ländlicher Anforderungen

Kapitel 5 – Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang

Wir wollen Länder und Kommunen dauerhaft bei der Digitalisierung des Bildungswesens
unterstützen (Digitalpakt 2.0)

Interessant. Ein Digitalpakt, der vor und während der Definition und Umsetzung als „nicht praxisorientiert“ bezeichnet wurde, der seine Unwirksamkeit nun hinlänglich bewiesen hat – soll nun unterstützt werden, um die Digitalisierung des Bildungswesens voranzubringen.

Sorry, da fehlen mir echt die Worte. Gerade im Bildungsbereich, einem Kernbereich einer modernen, wissensorientierten und digitalen Gesellschaft diesen Satz zu „spendieren“ ist nicht nur eine Negierung der wirklichen Herausforderungen im digitalen Bildungswesen.

Hier bleibt nur zu hoffen, dass während der Koalitionsverhandlungen die Digitalisierung der Bildung eine wesentlich höheren Stellenwert bekommt und hier noch umfangreiche Maßnahmen nachgelegt werden.

Kapitel 6 – Innovation fördern und neue Wettbewerbsfähigkeit erreichen.

Wir bemühen uns weiter um fairen Wettbewerb zwischen Geschäftsmodellen digitaler
Großunternehmen und dem lokal verwurzelten Unternehmen. Wir wollen die digital gestützte
Wertschöpfung in Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistung unterstützen und dafür ein
Level Playing Field herstellen.

Ok, das klingt weiter nach Plänen, Global Player zu reglementieren. Hier bleibt abzuwarten welche konkreten  Punkte sich dazu im Koalitionsvertrag wiederfinden.

Wichtig ist, sofern die Ausgestaltung auch entsprechend erfolgt, die Unterstützung der Wirtschaft bei der digitalen Transformation. Ob dazu ein Level Playing Field ausreicht muss indes offen bleiben.

Wesentlich ist eine gute Forschungslandschaft, die Innovationen hervorbringt. Wir wollen den
Anteil der gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3,5 Prozent des
BIP erhöhen. Wir brauchen mehr Ausgründungen aus Forschungsinstituten

Danke, sehr zu begrüßen. Allerdings ist der Sprung von 3,19% auf nunmehr 3,5% nicht der große Wurf. Hier hätte ich mir von den Sondierungspartnern mehr Mut gewünscht und eine  4 vor dem Komma gern gesehen 🙂 Aber gut, vielleicht kommt das ja doch noch.

Kapitel 8 – Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt moderner Demokratie

Wir wollen Freiheit und Sicherheit gewährleisten und die Bürgerrechte stärken. Gemeinsam
mit den Ländern werden wir die auch vom Bundesverfassungsgericht geforderte
gesamtheitliche Betrachtung der Eingriffsbefugnisse des Staates vornehmen und eine
Generalrevision der Sicherheitsarchitektur durchführen. Wir werden die Fähigkeiten und
Strukturen für die Abwehr von Cyberrisiken verbessern und auf eine gesetzliche Grundlage
stellen.

Das eine Forderung des Bundesverfassungsgerichts als Eckpunkt in einem Sondierungspapier erscheint mutet merkwürdig an. Allerdings sollten wir dankbar sein, dass dieses Thema nach jahrelanger Stagnation nun angegangen werden soll.

Danke, dass ihr die Ausführungen bis hierher gelesen habt. Natürlich beleuchten diese wirklich nur einen kleinen Aspekt der Sondierungsergebnisse.

Ich hoffe dennoch, dass Euch diese Fokussierung auf bestimmte Punkte und die (individuelle) Bewertung dieser Euch neue Erkenntnisse und Einblicke, oder zumindest die Aufmerksamkeit auf diese, ermöglicht hat.

Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass wenigstens einige der angesprochenen Punkte dann doch noch den Einzug in die Koalitionsverhandlungen finden bzw. massiv erweitert werden.

Dem modernen Staat und dem digitalen Aufbruch würde es auf jeden Fall weiteren Rückenwind verleihen.

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